Wenn Annette Bösert es sich wünschen könnte, dann wären es 50 Prozent. Genau die Hälfte, so viele Sitze im Gemeinderat sollten von Frauen besetzt sein. „Aber das ist ein Wunsch, der nicht erfüllt werden kann“, sagt Bösert, die für die SPD im Rat sitzt. Zumindest nicht auf die Schnelle. Denn die Realität sieht anders aus. Frauen sind in der (Kommunal-)politik immer noch unterrepräsentiert. Von 26 Ratsmitgliedern in Nordwalde sind nur sechs Frauen. Die Gesellschaft bildet das nicht ab. Und die Quote war lange Zeit noch schlechter, bis Hildegard Hegekötter im Juni als Ratsmitglied vereidigt wurde.
Damit sind drei Ratsmitglieder aus der CDU-Fraktion weiblich – und Frauen deutlich in der Unterzahl. Selbst wenn man Bürgermeisterin Sonja Schemmann als Vierte dazu zählt. In den anderen Fraktionen sieht es nur bedingt besser aus. Und es deutet nicht darauf hin, dass das Verhältnis nach der Kommunalwahl viel ausgeglichener wird. Ganz gut aufgestellt in Sachen Geschlechterverteilung ist die SPD: Mit Annette Bösert und Ursula Grothe stehen zwei Ratsfrauen drei Ratsherren gegenüber.
Nicht immer einfach im männerdominierten Gemeinderat
Beide wünschen sich, dass sich mehr Frauen politisch engagieren. „Ich bin dafür, dass wir Frauen ermutigen, die sich noch nicht trauen“, sagt Grothe. Ihre Zeit als Ratsmitglied hat sie als bereichernd empfunden: „Das macht Spaß und ist spannend. Ich bin dadurch nicht dümmer geworden.“ Sowohl Grothe als auch Bösert verhehlen aber nicht, dass sie es als Frauen im männerdominierten Gemeinderat nicht immer leicht hatten, besonders in der Anfangszeit.
„Ich bin von einem Ratsherren mal ziemlich angegangen worden, weil ich viele Fragen gestellt habe“, erinnert sich Bösert. Durch das Augenrollen und die Zwischenrufe habe sie sich aber nicht irritieren lassen. „Mein Appell an die Herren ist, dass sie Frauen auf Augenhöhe begegnen. Das stelle ich manchmal infrage.“ Grothe erinnert sich an einen ähnlichen Vorfall aus ihrer Zeit als Sachkundige Bürgerin: „Da habe ich gedacht: Wenn der in diesem Ton weiterredet, dann stehe ich in der nächsten Sitzung auf und gehe.“
„Frauen müssen häufig eine Doppel- oder Dreifachbelastung aushalten.“
Ein bisschen Selbstvertrauen sollten die Frauen schon mitbringen, wenn sie für den Rat kandidieren, sagt Grothe. Zumal neue Ratsmitglieder einige Zeit bräuchten, um sich einzuarbeiten. Das macht angreifbar. Trotzdem sagt Grothe: „Frauen, traut euch.“ Nicht nur, weil man mit der Zeit ein dickeres Fell bekomme. „Frauen haben Themen wie Familie, Wohnen und Soziales, Kindergärten und Schule häufig mehr im Blick“, sagt Bösert, weil sie näher dran seien.
Die beiden Sozialdemokratinnen wissen, es geht nicht nur darum, dass sich Frauen trauen müssen. Es spielen noch andere Faktoren eine Rolle, warum sie sich seltener engagieren. „Frauen müssen häufig eine Doppel- oder Dreifachbelastung aushalten“, sagt Bösert. Familie und Beruf zu vereinbaren, ist schon eine Herausforderung. Wenn dann noch Pflege eines Angehörigen, Mitarbeit in Vereinen oder Kommunalpolitik dazukommen, wird es nicht leichter.
Fehlende Vernetzung als Problem
Ein Problem, das Grothe sieht, ist die fehlende Vernetzung unter den Frauen – und zwar parteiübergreifend. Wenn das neue Feuerwehrhaus eingeweiht wird, würden die Frauen nach einer Stunde nach Hause gehen. Männer würden noch bleiben und zusammen ein Bier trinken. „Frauen müssten viel mehr Networking machen, das tun sie nicht“, sagt Grothe, die schon zu ihrer Anfangszeit den Wunsch nach einem parteiübergreifenden Frauennetzwerk hegte.
Obwohl sie es gut finden würden, wenn mehr Frauen in den Rat einziehen, mit einer Quote tun sich Bösert und Grothe schwer. Die Personen müssten schon ausreichend qualifiziert sein. Also bleibt es erst mal dabei: „Man wünscht sich, dass es mehr Frauen im Rat gibt“, sagt Bösert. „Aber die Realität holt einen ein.“
Aus den „Westfälischen Nachrichten“ vom 4. 9. 2020
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