Gute Stimmung für ein warmes Essen

Löttken, Löttken mit Schrappöttken!“ Den Spruch dürfte jeder kennen, der in den 1960er Jahren auf der katholischen Kardinal-von-Galen-Volksschule gewesen ist. Damals gab es noch das Fach Heimatkunde. Da wurde nicht nur das Nordwalder Wappen erklärt, sondern auch über Löttken gesprochen, nach der die Löttkenstraße in der Nähe der KvG-Gesamtschule benannt wurde. Der Heimatverein hatte jetzt zusammen mit dem SPD-Ortsverein zu einem Vortrag über das Hollandske Löttken eingeladen. Am Beispiel der Biografie von Charlotte Holländer sollte auf die Errungenschaften der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland aufmerksam gemacht werden, die erst etwa ab1880 entstanden.

David Große Dütting begrüßt die Historikerin Dr. Ulrike Gilhaus

Für ihr Buch „Kleine Leute in Westfalen“ hat die Historikerin Dr. Ulrike Gilhaus aus Soest zum Leben von 72 Menschen in bescheidenen Verhältnissen vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart recherchiert. Gilhaus bedankte sich beim Heimatverein für die ausführliche Unterstützung ihrer Arbeit, so dass eine Biografie zu Löttken entstehen konnte. Diese wurde von Dr. Kirsten Bernhardt vom LWL verfasst.
Geboren wurde diese 1820 in Westerode. Der Vater war Tagelöhner. Von den vier jüngeren Geschwistern erreichte nur eine Schwester das Erwachsenenalter. Wo sie wohnte, ist nicht bekannt. Gearbeitet hat Charlotte Holländerals Weißnäherin. Sie kümmerte sich um Tischwäsche, Haushalts- und Leibwäsche. Als ihr Augenlicht mit dem Alterschlechter wurde, ging das nicht mehr und Löttken entwickelte ein eigenes unabhängiges und bescheidenes Überlebensmodell. Untergebracht wurde sie im Armenhaus auf der heutigen Löttkenstraße, Ecke Emsdettener Straße. Wann die Straße (früher Meer) nach ihr benannt wurde, ist bisher nicht bekannt.

„Leider ist das Gemeindearchiv momentan eingelagert, so dass wir nicht in den Dokumenten suchen konnten“, bedauerte Gilhaus. Im Dorf hatte Löttken eigentlich einen ganz guten Ruf. Sie tauchte zum Beispiel auf Veranstaltungen auf und bekam Essen für ihren Henkelmann, den sie immer dabei hatte. Im Armenhaus gab es nur zwei Zimmer, keinen Herd und kein Wasser. Daher konnte Löttken auch nicht selber kochen. Für das Essen in ihr Pöttken unterhielt Löttken gerne die Menschen. Als Kommunikationstalent erzählte sie Geschichten, sagte Gedichte auf und sorgte für gute Stimmung. Gekleidet war sie in saubere abgelegte Kleidung, die ihr geschenkt wurde. Wahrscheinlich war sie auch recht fromm. Auf einem Bild sieht man sie mit Gebetbuch. Eine Postkarte zeigt sie als Hauptmotiv im Vordergrund und die industriell aufstrebende Gemeinde im Hintergrund. „Und das, obwohl die sogenannten kleinen Leute in der Kunst höchstens als Randerscheinungen dargestellt wurden“, so Gilhaus.

Bundestagskandidat Johannes Waldmann präsentiert das Buch „Kleine Leute in Westfalen“

Leider gab es kein Happy End für das Löttken. Mit 91 Jahren verlor sie ihr Zuhause, da die beiden Armenhäuser im Ort (das zweite war neben der Kirche) geschlossen wurden. Sie wurde ins lokale Krankenhaus eingewiesen, was fast einer Entmündigung gleichkam. „Da ist sie also abgehauen“, erzählte Gilhaus. Was machte die Gemeinde? Sie erklärte Charlotte Holländer daraufhin für schwachsinnig und brachte sie in der Anstalt für Geisteskranke vom Provinzialverband in Eickelborn unter. So war man sie los. In Eickelborn lebte Löttken noch bis 1916 – hat also das stolze Alter von 96 Jahren erreicht.

Von Sigrid Terstegge,  –  aus den Westfälischen Nachrichten vom 18. 1. 2025

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Sonderling und Kartenmotiv
von Karl Stening (WN Artikel vom 15. 12. 2009)

Nordwalde – Eines der bekanntesten Dorforiginale in Nordwalde vor dem Ersten Weltkrieg (1914-18) war zweifellos „Holländsk Löttken“. Wegen dieses ungewöhnlichen plattdeutschen Namens waren viele Nordwalder der Meinung, die Frau sei aus dem benachbarten Holland in die Gemeinde gekommen. Wer aber in den alten Kirchenbüchern liest, stellt fest, dass es sich bei ihr um ein echtes Nordwalder Eigengewächs handelt. Laut Nordwalder KB 7 (Kirchenbuch Nummer sieben) ist am 5. Juni 1820 Anna Maria Elisabeth Holländer geboren, genannt Charlotte. Ihr Vater war der Tagelöhner Bernhard Hermann Holländer, die Mutter Elisabeth Holländer, geborene Meyers (eigentlich Hundeler), aus der Bauerschaft Westerode. Als Paten fungierten Anna Maria Holländer und Johann Bernhard Halstrup.

Nach der Schulzeit lernte sie wie die meisten jungen Nordwalderinnen zunächst das Spinnen und Weben und betätigte sich später als Weißnäherin überall in der Gemeinde. Aufgrund ihrer langjährigen Tätigkeit im „Außendienst“ war sie in vielen Nordwalder Haushalten bestens bekannt.

Als im Alter ihre Sehkraft nachließ, konnte sie die feine Näharbeit nicht mehr ordnungsgemäß durchführen, mit dem Ergebnis, dass sie als arbeitslose Frau ins Armenhaus musste. Nordwalde hatte zwei Armenhäuser, die von „gutherzigen Leuten“ mit Kapitalien und jährlichen Spenden unterhalten wurden. Das eine lag am Kirchhof und wurde im Jahre 1900 vom Schuhmacher Bernhard Oberhaus gekauft. Das andere lag außerhalb des eigentlichen Dorfes auf dem sogenannten „Meer“ und wurde nach dem Stifter „Lütke Schmedde“ benannt. Hier wurde Charlotte Holländer untergebracht. Es handelte sich um ein baufälliges Fachwerkhaus mit nur zwei Räumen. Weil es keine Feuerstelle hatte, musste „Löttken“, wie sie fortan von den durchweg plattdeutsch sprechenden Nordwaldern genannt wurde, schon notgedrungen auswärts zum Essen gehen. Deshalb suchte sie im Laufe der Woche bestimmte Kosthäuser auf und sammelte Essen in ihrem Henkeltopf.

Den Kindern im Dorf fiel das natürlich auf und sie bedachten sie mit dem Spottvers: „Löttken schrappt Pöttken, schrappt diege, diege ut von binnen un buten un krigg ne ruhe Schnut!“ Erst durch die Aufnahme ins Armenhaus und das Betteln wurde „Löttken“ in Nordwalde fast jedem bekannt. Durch die damals geringe soziale Absicherung älterer Menschen war sie auf die Gaben der Dörfler angewiesen und konnte sich nicht selber ernähren. Auch in anderen Gemeinde gab es diese „Sonderlinge“. Von ihrer Frömmigkeit zeugen ihre Worte, wenn gutgesinnte Kinder ihr die Hand gaben. Sie sagte dann: „Gueden Dag, Kinner! Siägn ju guet un biät ju guet, dann geiht ju guet!“